Transkript – Empowerment und persönliche Assistenz
aktiv und selbstbestimmt e.V.
(Jenny Bießmann)
Hallo und herzlich willkommen zu meinem Vortrag bei der INKLUSIVA 2020, welche in diesem Jahr digital stattfindet.
Mein Vortrag lautet „Empowerment und Assistenz“.
Aber wer bin ich eigentlich?
Mein Name ist Jenny Bießmann, ich bin 34 Jahre alt, komme gebürtig aus dem schönen Thüringer Wald und lebe aktuell in Berlin. Seit meiner Geburt lebe ich mit einer spinalen Muskelatrophie. Und um ein selbstbestimmtes Leben leben zu können, habe ich seit über zehn Jahren persönliche Assistenz im Rahmen des Arbeitgeber*innen-Modells. Mein Abitur habe ich 2006 in Erfurt gemacht. Danach bin ich zum Studieren an die Philipps-Universität Marburg und habe dort Sozialwissenschaften studiert. Danach habe ich an der Humboldt-Universität in Berlin Gender Studies und Erziehungswissenschaften studiert.
2016 habe ich eine Weiterbildung als Peer-Counselorin ISL gemacht. Peer Counseling ist eine Beratungsmethode, wo Menschen mit Behinderung andere Menschen mit Behinderung beraten und unterstützen in ihren Zielen. Und der kleinste gemeinsame Nenner dabei ist, dass jeder Mensch mit Behinderung schon mal Diskriminierung erlebt hat. Also das bedeutet, ich als Mensch im Rollstuhl kann auch gut einen Menschen mit einer anderen Behinderung beraten.
2016 mit den Protesten rund um das Bundesteilhabegesetz habe ich auch einen gemeinnützigen Verein gegründet, der „aktiv und selbstbestimmt e.V.“ heißt. Mit diesem Verein haben wir seit 1.1.2018 die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung, wo ich als Beraterin eine Vollzeitstelle innehabe.
Jetzt möchte ich aber zum Vortragsthema kommen.
Das Thema lautet „Empowerment und Assistenz“.
Empowerment bedeutet, dass man Unterstützung erfährt, in dem, was man als Ziel hat. Und Assistenz ist eine Form, um selbstbestimmt leben zu können als Mensch mit Behinderung.
Ich habe mir das wie folgt gedacht. Zunächst werde ich etwas Allgemeines zur persönlichen Assistenz und Selbstbestimmung sagen. Danach werde ich nochmal etwas Kurzes über das persönliche Budget erläutern. Und immer wieder in meinem Vortrag wird hervorkommen, wie wichtig die Unterstützung von Menschen mit Assistenzbedarf ist, da kein Mensch als Arbeitgeber*in geboren wurde. Und das ist ganz egal, ob das ein Mensch mit oder ohne Behinderung ist.
Persönliche Assistenz und Selbstbestimmung: Mit persönlicher Assistenz kann ein Mensch mit Behinderung und Assistenzbedarf selbstbestimmt dort leben, wo er möchte.
Also der Mensch mit Behinderung und Assistenzbedarf kann z.B. in seiner eigenen Wohnung leben, kann aber auch in einer WG mit behinderten oder nicht behinderten Mitbewohner*innen leben, oder er kann auch sagen: Ich fühle mich eigentlich ganz wohl in meiner besonderen Wohnform, was z.B. ein Heim sein könnte, und kann dort leben, aber kann meine Freizeit mit persönlicher Assistenz gestalten.
Ich habe jetzt mal die vier wichtigsten Kriterien für die persönliche Assistenz rausgesucht.
Das ist zum einen die Organisationskompetenz. Zum anderen eine Personalkompetenz benötigt der Mensch mit Assistenzbedarf. Und ganz ganz wichtig natürlich auch eine Anleitungskompetenz. Die vierte Kompetenz ist die Finanzkompetenz. Die benötigt der Menschen mit Assistenzbedarf in der Regel sehr ausgeprägt, wenn er sich für ein Arbeitgeber*innen-Modell entscheidet, aber auch in einem Dienstleister*innen-Modell könnte man die Finanzkompetenz gut benötigen.
Jetzt möchte ich Ihnen die vier Kompetenzen noch etwas genauer vorstellen.
Als erstes die Organisationskompetenz. Das bedeutet, wo, wann, wie und wer die Assistenz leistet. Das entscheide nur ich, nur der Mensch mit Assistenzbedarf entscheidet, wer für ihn arbeitet, wie die Arbeit gemacht wird, vor allen Dingen von wann bis wann der Bedarf besteht, aber auch wo. Bei dem Wo entscheide ich, wo der Dienstbeginn ist, und nicht ein Dienst oder irgendjemand Anderes, sondern ich als Mensch mit Behinderung sage: Wir treffen uns heute Abend in der Kneipe XY, weil da bin ich mit Freund*innen.
Als nächstes etwas ganz ganz Wichtiges, was die persönliche Assistenz ausmacht, nämlich die Personalkompetenz. Wer mich unterstützt, für mich arbeitet, entscheide ich, also nur der Mensch mit Assistenzbedarf sagt, wer für ihn arbeiten soll. Das ist natürlich etwas ganz ganz Wichtiges in der Assistenz. Nur wenn die Chemie stimmt, kann man gut miteinander arbeiten. Und viele Menschen mit Assistenzbedarf haben auch einen hohen Assistenzbedarfsanspruch, und da kann es schon sein, dass jemand acht bis zehn Stunden am Stück bei jemand arbeitet. Da muss man sich schon gut riechen können.
Die dritte Kompetenz ist die Anleitungskompetenz. Ich bin Expert*in in eigener Sache und deshalb sage ich, wie die konkrete Hilfe ausgeführt werden soll. Das bedeutet einfach nur, dass ich als Mensch mit Assistenzbedarf genau weiß, wie in meiner Wohnung etwas gestellt werden soll oder geräumt werden soll oder wie ich mir vorstelle, dass geputzt werden soll. Das muss ich alles anleiten können.
Die vierte Kompetenz ist die Finanzkompetenz. Die Leistungen, die ich mir einkaufe, zahle ich beispielsweise mit dem persönlichen Budget. Das Geld bekomme ich direkt vom Kostenträger. Hier entscheide ich dann, ob ich als Arbeitgeber meine Angestellten bezahle oder ob ich einen Dienstleister bezahle, einen Dienstleister, der mir die Assistenz zur Verfügung stellt.
Genau, das sind die vier Kriterien, die man als Mensch mit Assistenzbedarf erfüllen können sollte, um selbstbestimmt leben zu können.
Jetzt sprach ich ja schon mal von dem persönlichen Budget, und möchte jetzt auch im nächsten Schritt dazu kommen.
Das persönliche Budget: Es ermöglicht Menschen mit einen Anspruch auf Teilhabeleistungen anstelle einer traditionellen Sach- oder Dienstleistung eine Geldzuwendung zu erhalten. Das bedeutet, dass der Mensch mit Behinderung im Mittelpunkt steht, nämlich er oder sie bekommt das Geld auf ein extra zu eröffnendes Konto, ein Arbeitgeberkonto, welches aber privat sein kann, und kann dann entscheiden, möchte ich das Ganze an einen Dienstleister geben, der mir eine Rechnung stellt, oder möchte ich als Arbeitgeber*in fungieren und zahle damit meine Assistent*innen.
Und natürlich auch noch das Finanzamt, also Steuern muss man ja abführen, wenn man Arbeitgeber ist, und an die Sozialversicherungsträger, also an die Krankenkassen.
Der Mensch mit Behinderung kann im Rahmen der vereinbarten Kriterien und Auflagen selbst entscheiden, wann und in welchem Umfang er welche Dienstleistung, Unterstützung durch welche Person oder Einrichtung in Anspruch nehmen möchte.
Also der Mensch mit Behinderung hat in dem persönlichen Budget sehr viele Freiheiten. Natürlich müssen die Gelder zweckentsprechend ausgegeben werden, damit dann auch die Leistung in Anspruch genommen werden kann, die man beantragt.
Genau, und jetzt kommen wir auch nochmal zu der vierten Finanzkompetenz, die ist nämlich in dem Punkt ganz relevant. Nämlich die Leistung bezahlt der Empfänger des persönlichen Budgets, entweder als Kunde im Dienstleistermodell oder als Arbeitgeber*in, nämlich selbst aus an seine Angestellten.
Jetzt habe ich nochmal sieben Punkte mitgebracht, die man so gehen muss, um in das persönliche Budget überhaupt kommen zu können.
Also erstmal muss man natürlich einen Antrag stellen bei seinem Kostenträger. Beantragt werden können natürlich alle Leistungen zur Teilhabe. Das kann Freizeit-Assistenz sein, Arbeitsassistenz, Hilfe zur Pflege, genau. Also wenn man ein persönliches Budget für seine persönliche Assistenz benötigt. Ansonsten kann man persönliches Budget auch noch für weitere Punkte beantragen.
Das würde aber jetzt an dieser Stelle zu weit führen.
Ich möchte einmal ein kleines Beispiel aufmachen, damit es etwas leichter nachzuvollziehen ist. Wenn ein Mensch mit Behinderung einen Bedarf an Freizeit-Assistenz hat und Arbeitsassistenz und vielleicht noch ein bisschen Hilfe zur Pflege, dann überlegt man sich, wo ist denn der größte Anteil an Stunden.
Wenn das z.B. die Hilfe zur Pflege ist und die Freizeit-Assistenz, dann ist der Kostenträger in unserem Fall natürlich die Eingliederungshilfe. Also stellt der Mensch mit Behinderung seinen Antrag in der Eingliederungshilfe.
Der Kostenträger leitet die Information unverzüglich an die anderen beteiligten Leistungsträger weiter. Das wäre Schritt 2. Weil der Kostenträger, die Eingliederungshilfe in unserem Beispiel gesehen hat, da ist nicht nur Freizeit in dem Budget, sondern da ist auch Arbeit. Also hole ich natürlich auch das Integrationsamt mit ins Boot.
Also muss das natürlich auch an das Integrationsamt weitergeleitet werden.
Im dritten Schritt: Die beteiligten Leistungsträger leiten ihre Stellungnahme mit der Aussage zum Bedarf, also wieviel Stunden, z.B. Arbeitsassistenz notwendig ist, wieviel Geld, die Höhe des persönlichen Budgets, dem Inhalt der Zielvereinbarung und einem Beratungs- und Unterstützungsbedarf innerhalb von zwei Wochen dem Budgetverantwortlichen zu.
Also das Integrationsamt macht eine Aussage zu den o.g. Punkten, innerhalb von einer Woche, also die haben gar nicht so viel Zeit. Trotz allem, fairerweise dauert es schon immer viel viel länger. Aber eigentlich ist festgelegt eine Woche.
Dann im vierten Schritt kommt es zu einem trägerübergreifenden Bedarfsfeststellungsverfahren. Dazu lädt in der Regel der Budgetverantwortliche ein, also die Eingliederungshilfe. Mit dabei sitzt in unserem Fall auch das Integrationsamt mit der Arbeitsassistenz, natürlich der Mensch mit Behinderung, und ganz ganz wichtig, der Mensch mit Behinderung hat einen Anspruch, eine Vertrauensperson mitzunehmen. Das können Freunde sein, das können aber auch Berater*innen sein, die schon mal unterstützt haben, das persönliche Budget überhaupt in Angriff zu nehmen, oder aber auch ein Dienstleister, mit dem man eh dann zusammenarbeiten möchte. Also da ist man ganz frei aufgestellt. Genau.
Der fünfte Schritt ist, die Leistungsträger legen die Höhe ihres Teilbudgets innerhalb einer Woche nach dem Bedarfsfeststellungsverfahren fest. Also auch hier darf eigentlich keine Zeitverzögerung stattfinden, wenn erstmal das Bedarfsfeststellungsverfahren stattgefunden hat.
Also eigentlich müsste das Ganze recht schnell durchgehen. So ist es aber in der Realität nicht, das weiß ich natürlich auch aus meiner Beratungserfahrung.
Im sechsten Schritt, ganz ganz wichtig, kommt es zum Abschluss einer Zielvereinbarung, hier aber nur zwischen dem Beauftragten, in unserem Beispiel der Eingliederungshilfe und dem Menschen mit Behinderung, also dem Antragsteller. Und die Zielvereinbarung enthält Aussagen zu den individuellen Förder- und Leistungszielen, der Erforderlichkeit von Nachweisen, also was muss ich alles nachweisen am Bewilligungszeitraumende mit Verwendungsnachweis, und Qualitätssicherung. Wobei bei der Qualitätssicherung ist eigentlich die große Sicherheit, wenn der Mensch mit Behinderung zufrieden ist, dann läuft alles gut.
Aber diese Punkte sollten immer in einer Zielvereinbarung festgehalten werden.
Und im siebten Schritt, das ist ein ganz wichtiger Schritt, hier wird nämlich der Bescheid erlassen, vom Beauftragten, also von der Eingliederungshilfe.
Erst wenn man einen Bescheid hat, kann man gegen das, was entschieden wurde, auch klagen. Häufig ist es so, dass entweder zu wenig Stunden genehmigt wurden, oder dass das Budget gar nicht ausreichend ist, so dass man gar nicht den Mindestlohn an seine Angestellten zahlen kann, oder auch dass der Dienstleister damit gar nicht wirklich bezahlt werden kann. Dann muss man natürlich auch den Weg einer Klage gehen. Das passiert, ist jetzt aber nicht die Regel.
Wenn man jetzt das gesamte Budget durch hat, kann man sich überlegen, möchte ich als Arbeitgeber*in fungieren, das heißt ich bin die Arbeitgeberin, habe meine Angestellten, mit denen ich Arbeitsverträge mache, habe alle Rechte und Pflichten eines Arbeitgebers, muss Dienstpläne erstellen, muss Abrechnungen mit Hilfe eines Lohnbüros machen. Oder aber ich sage, ich nehme das Dienstleistermodell, bezahle meinem Pflegedienst, Assistenzdienst jeden Monat über mein persönliches Budget die Rechnungen. Aber die ganzen Formalitäten übernimmt der Dienst.
Welche von beiden Varianten man nimmt, das ist eine ganz individuelle Geschichte, da muss man einfach mal in sich hören, was einem besser gefällt, und womit man besser zurecht kommt.
Dafür ist es auch immer ratsam, mal davor in einer Beratungsstelle gewesen zu sein, am besten, wo Expert*innen in eigener Sache sitzen, da diese Menschen aus eigener Erfahrung berichten können und man dann auch mal sehen kann, was vielleicht das Pro und Contra ist.
Und ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass man sich natürlich auch mit anderen Menschen, die schon mit einem persönlichen Budget, vielleicht im Arbeitgeber*innen-Modell leben, mal austauscht. Oder auch über bestimmte Assistenzdienste, wie glücklich oder unglücklich sie sind, oder was dafür oder dagegen spricht.
Und sollte man sich für ein persönliches Budget im Rahmen des Arbeitgeber*innen-Modells entscheiden, ist natürlich auch immer ganz ganz wichtig, dass man sich unterstützen lässt, weil kein Mensch ist als Arbeitgeber*in geboren. Niemand wird es zugeschrieben, Arbeitgeber zu sein, und auf einmal alles auswendig zu können. Und viele gemeinnützige Vereine bieten auch eine sogenannte Budgetbegleitung oder das Teilhabe-Management an und können im Rahmen dessen die neuen behinderten Arbeitgeber*innen unterstützen.
Und das Ganze kann man mit in dem Antrag beantragen, so dass der kleine Verein um die Ecke, der das anbietet, auch noch ein kleines Honorar bekommt. Aber viele Vereine machen das mittlerweile auch kostenlos und unterstützen. Aber da muss man immer gucken, was bei einem in der Nähe ist.
Ja, so viel erst mal dazu. Ich würde an dieser Stelle schließen. Wenn noch Fragen sind, kann man sich gerne bei mir melden. Ich denke, mein Kontakt wird dann auch weitergebeben.
Genau, dann erst mal alles Gute.